🧠 Denkstoff #3: Warum wir aufhören müssen, auf die Rentner zu zeigen

Warum wir aufhören müssen, auf die Rentner zu zeigen

Rentner-Bashing?

In den sozialen Medien taucht er immer wieder auf: der Vorwurf, die Babyboomer würden „uns die Rente wegnehmen“. Dahinter steckt oft Frust, manchmal Unwissen – und leider auch eine gehörige Portion Spaltung. Aber stimmt das eigentlich?


Schnelle Schuldzuweisungen – ein gefährlicher Trend

In Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit, steigender Lebenshaltungskosten und politischer Umbrüche ist es allzu einfach, einen Schuldigen zu suchen. Und immer öfter scheint der Finger in Richtung der Älteren zu zeigen – genauer: auf die Rentner, vor allem auf die Generation der Babyboomer.

„Die belasten unser System“, heißt es dann. Sie hätten "es gut gehabt", und wir müssten nun „ihre Rente stemmen“. Solche Aussagen sind nicht nur respektlos – sie sind gefährlich. Denn sie spalten. Und sie übersehen eine entscheidende Wahrheit.


Die Generation, die dieses Land aufgebaut hat

Rentner haben Jahrzehnte lang eingezahlt. Sie haben gearbeitet, Kinder großgezogen, Unternehmen aufgebaut, Pflege geleistet, Infrastruktur geschaffen und das soziale Netz, auf das wir uns heute noch stützen, mitgetragen – in guten wie in schweren Zeiten. Ihre Lebensleistung ist nicht nur ein persönliches Verdienst. Sie ist ein Fundament, auf dem unser Land heute steht.

Wer diese Menschen zum Sündenbock macht, verwechselt Ursache und Wirkung.


Wer wirklich das System belastet

Nicht diejenigen, die jahrzehntelang in die Rentenkasse eingezahlt haben, bringen das System ins Wanken. Die wahren Herausforderungen entstehen dort, wo – aus ganz verschiedenen Gründen – nie oder kaum Beiträge geleistet wurden. Niedriglöhne, Minijobs, befristete Verträge und das Herauslösen ganzer Berufsgruppen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine verfehlte Sozialpolitik, unzureichende Integration haben das System zusätzlich geschwächt. Die Menschen, die jetzt in Rente gehen, haben oft 40 oder 45 Jahre lang eingezahlt – und sind nicht die, die das System ausnutzen.


Polarisierung spaltet – Verständnis verbindet

Doch in einer Gesellschaft, die sich zunehmend im Ton vergreift, fällt es vielen schwer, diese Unterscheidung zu sehen. Polarisierung ist einfacher als Analyse. Und so werden Fronten aufgemacht, wo es eigentlich Verständnis bräuchte.


Altersarmut ist kein Einzelfall, sondern ein politisches Ergebnis

Altersarmut zum Beispiel – das ist keine abstrakte Statistik. Altersarmut ist real. Sie betrifft besonders Frauen, Alleinerziehende und Menschen, die lange Zeit in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet oder Angehörige gepflegt haben. Es ist die Einsamkeit einer älteren Frau, die im Winter die Heizung drosselt. Es ist der Mann, der Flaschen sammelt, obwohl er jahrzehntelang gearbeitet hat. Wer sich über das "Privileg" der Rente echauffiert, sollte bedenken: Es ist kein Geschenk. Es ist der Lohn für Lebenszeit.


Ehre, wem Ehre gebührt

Eine gerechte Gesellschaft erkennt diese Leistung an. Sie ehrt sie – anstatt sie infrage zu stellen. Denn wer heute auf Rentner schimpft, vergisst vielleicht: Auch er oder sie wird einmal alt. Und dann zählt nur noch, wie wir als Gesellschaft mit unseren Ältesten umgehen.


Keine Feindbilder – wir brauchen Zusammenhalt

Was wir brauchen, ist kein Generationenkonflikt – sondern Zusammenhalt. Kein Aufhetzen – sondern Aufeinander-Zugehen. Es ist Zeit, die Narrative zu hinterfragen, die uns spalten. Denn sie lenken nur davon ab, wo die echten Probleme liegen.

Am Ende sitzen wir alle im selben Boot. Die Frage ist: Rudern wir gemeinsam – oder schubsen wir uns gegenseitig ins Wasser?


Eine ehrliche Frage an die Jüngeren

Und an die Jüngeren, die ebenfalls obige Meinung vertreten: Wenn ihr heute schon so viel fordert – was habt ihr bislang selbst für den Zusammenhalt und den Erhalt unserer Gesellschaft geleistet?


Fragen an dich

  • Glaubst du, dass der Generationenkonflikt absichtlich geschürt wird – und wenn ja, von wem?

  • Was würdest du dir wünschen, wenn du selbst einmal in Rente gehst?

Antworten 7

  • Ich könnte viel, zu viel zu diesem Thema schreiben, denn mich regt auf, dass die Rentner oftmals als die Buhmänner der Nation dargestellt werden. Hieran beteiligt sind sowohl Politiker als auch einzelne Wirschaftsweise und schließlich einzelne Printmedien usw. Nicht die Rentner tragen Schuld an der Misere der leeren Rentenkasse, sondern die verfehlte Politik seit über mehr als zwanzig Jahre. Die ist nun von den Folgen des tatsächlich eingetroffenen demografischen Wandels überrascht, als ob Experten nicht bereits seit vielen Jahren und immer wieder davor gewarnt hätten.

    Man hätte seinerzeit, als es noch nicht zu spät war, junge Familien und somit mehr Nachwuchs fördern können, man hätte auch eine echte Rentenreform durchsetzen können. Ich hätte nichts dagegen gehabt, einige Prozentpunkte mehr in die Rentenversicherung einzuzahlen, wenn es denn für die spätere Rente zuträglich gewesen wäre. Man denke z.B. an Länder wie Österreich oder die Niederlande, wo Rentner mehrere hundert Euro mehr in der Tasche haben.

    Nein, Deutschland wollte vor Jahren mit der Blue Card als Pendant zur Green Card ausländische Fachkräfte aus dem IT-Bereich ins Land holen, was größtenteils misslang. Später scheiterte weitgehend die Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte. Unter den zahlreichen Flüchtlingen scheinen Fachkräfte rar zu sein, hingegen stiegen die Ausgaben für Sozialhilfe/Bürgergeld auf über 50 Mrd. Euro.


    Das Rentenniveau liegt bei 48 %, gesichert bis 2031. Eine Schande, zum Fremdschämen, wie alte Menschen in unserem Land abgespeist werden, und das bei stark gestiegenen Lebenshaltungskosten! Die Rente reicht bei vielen Menschen kaum noch aus, sie müssen aufstocken oder Sozialleistungen beantragen.


    Mein Großvater bekam seinerzeit eine Rente von ca. 2500 Deutsche Mark und konnte mit in jedem Jahr hoch steigenden Anpassungen bei niedrigen Lebenshaltungskosten gut leben. Übrigens haben wir als Babyboomer unseren Beitrag geleistet für den Generationenvertrag.

    Mit heutzutage umgerechnet rund 1250 Euro kommt man nicht weit, bewegt sich bei hohen und weiter steigenden Kosten an der Armutsgrenze.


    Ach ja, da gibt es ja nun künftig die Aktivrente. Rentner können über die Altersrente hinaus arbeiten und bis zu 2000 Euro steuerfrei hinzuverdienen. Ungerecht, denn diejenigen, die es dringend gebrauchen könnten, stammen evtl. aus Berufen, wo es nahezu undenkbar ist, im höheren Alter aktiv zu sein oder sie sind krank, gebrechlich, pflegebedürftig.


    Und wie sieht es in der Pflege aus? Katastrophal, die Kosten für eine Heimunterbringung sind für die zu Pflegenden und deren Angehörige kaum noch zu bewältigen, wobei die Leistung nicht besser wurde.




    Das war ein langer Text ohne zu gendern. Sicher ist den meisten von Euch das alles bekannt. Ich musste es aber jetzt einfach mal loswerden, was mich bewegt, aufregt und traurig stimmt.

  • Ja, ich kann Budgie nur zustimmen. Es ist schon eine Weile her, als meine Mutter vor 20 Jahren in Rente ging, sie war alleinerziehende Mutter 2er-Kinder, musste 45 Jahre arbeiten und hat sie auch getan, sie bekam 930 DM Rente und sollte damit eine Wohnung und Nebenkosten zahlen, diese lagen schon bei 45 qm bei 680 DM. Sie hatte auch noch die Chance genutzt 3 Jahre dranzuhängen um 30 DM pro Monat Rente mehr zu bekommen. Damit konnte sie dann bis zu ihrem 68. Lebensjahr sehen, wie sie damit zurechtkam. Urlaub war nur möglich innerhalb Deutschlands oder in Rumänien, da es dort ja so günstig war. Als sie dann als Folge einer verpatzten Krebsvorsorge (Gebärmutterhalskarzinom) sehr schnell verstarb, durfte ich dann auch erfahren, wie wenig Möglichkeiten sie hatte und auch vom Bildungsstand her sich eine qualitativ höherwertige private Absicherung zu leisten. Also die Rentensituation bei den alleinerziehenden Müttern war schon damals katastrophal. Die einzige Sorge, die sie hatte und ob es richtig war, möchte ich jetzt nicht weiter erläutern, dass sie nur ihre Todesfall-Versicherung noch bezahlen konnte, damit keiner ihrer Kinder da noch für gerade stehen musste. Ich muss mich heute noch dafür schämen, dass ich eine Schwester habe, die meiner Mutter ständig Vorwürfe gemacht hat, dass meine Mutter das ja alles selber Schuld sei und sie allen Grund hatte sich von ihr abzuwenden. Solche Mütter haben eigentlich eine gute Absicherung verdient, für das, was sie geleistet haben.

    Also auch aus der Richtung werden, da einige auch ein Lied singen können und das ist die schweigende Zahl von Frauen, die froh sind, dass sie überhaupt noch etwas bekommen und dann die Erniedrigung als Bittsteller beim Sozialamt sich Überlebensgeld zu holen.... :cursing:

  • Dieter01 es ist traurig zu lesen, dass Deine Mutter es finanziell und dann noch gesundheitlich sehr schwer hatte. An Schicksalsschlägen, die Brüche im Lebenslauf erzeugen, trägt niemand die Schuld.

    Aber genau das meinen auf anderen Plattformen einige Kommentatoren, echte gesunde Überflieger.

    Ich kenne einige Frauen, denen es ähnlich erging wie Deiner Mutter.

    Meine Mutter wurde mit 48 Witwe, meine Schwester war noch 12. Sie mussten die große Wohnung aufgeben, die viel zu teuer war. Es folgte eine längere Durststrecke, wobei ich einige Zeit nicht helfen konnte, da wegen Firmenschließung Monate arbeitslos.


    Leider gerät hier die Diskussion etwas ins Stocken...schade, denn dieses Thema betrifft jeden irgendwann.

    Heute sind die jungen Leute jedoch aufgeklärt über die Möglichkeiten der Altersvorsorge. Diese Informationen sollten genutzt werden; meinen Eltern standen sie nicht uneingeschränkt zur Verfügung.

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  • Herzlichen Dank euch beiden für eure Offenheit 🙏. Eure Beiträge zeigen sehr deutlich, dass man das Thema Rente nicht mit einfachen Schuldzuweisungen lösen kann. Viele der heute älteren Generation hatten schlicht keine realistische Chance, privat vorzusorgen – niedrige Gehälter, andere Lebensrealitäten, fehlende Informationsmöglichkeiten.


    Es stimmt, die Diskussion ist hier etwas ins Stocken geraten – dabei betrifft uns das Thema alle, früher oder später.

    Was mich daran immer wieder beschäftigt: Viele Lebenswege führen dazu, dass am Ende nur wenig Rente zusammenkommt – sei es durch Teilzeit wegen Familie, durch Zeiten der Selbstständigkeit, Pflege von Angehörigen oder schlichtweg niedrige Löhne.

    Man denkt während des Berufslebens oft nicht daran, was das später bedeutet.

    Und trotzdem sind diese Biografien genauso Teil unserer Gesellschaft.



    Umso spannender finde ich die Frage, wie die jüngere Generation heute damit umgeht:

    Wird die größere Informationsfülle wirklich genutzt? Oder bleibt es bei dem guten Vorsatz, sich ‚irgendwann später‘ darum zu kümmern?

    Vielleicht liegt der Schlüssel darin, voneinander zu lernen – die Älteren bringen Erfahrung ein, die Jüngeren neue Möglichkeiten. Mich würde interessieren: Wie seht ihr das?

  • Guten Morgen,

    die jüngere Generation hier zu erreichen ist wohl etwas schwieriger, da ja bekanntlich die Forengemeinde hier schon etwas gesetzter im Alter ist. Da wirst Du liebe Siggi nicht die richtige Altersklasse ansprechen können. Ich mache mich hier nicht über die User hier lustig, jedoch solltest Du mal interessanterweise schauen, ob und wie viele noch Bezug zu Wellensittichhaltung haben. Geschweige sich dann hier in diesem Forum zu dem Thema zu äußern oder gar Gedanken über Respekt und vor der Erfahrung der Älteren hier zu Worte bringen. Ich bin da der Meinung, das läuft noch nicht einmal bei TikTok. :rollauge: Weil es ein viel zu langes Thema ist. :kopfkratz: :blumen:

  • Da hast du vollkommen recht – die meisten hier im Forum gehören eher zur gesetzteren Generation, und die Jüngeren erreicht man mit solchen Themen wahrscheinlich nur schwer. Aber genau deshalb finde ich es spannend, dass wir hier darüber reden. Wir haben die Erfahrungen aus einem ganzen Arbeitsleben und können aus erster Hand erzählen, wie es ist, in Rente zu gehen oder mit den Herausforderungen im Alter umzugehen.


    Auch wenn jüngere Stimmen hier fehlen, kann es trotzdem wertvoll sein: zum einen für uns selbst, weil wir unsere Gedanken teilen und voneinander lernen, und zum anderen vielleicht auch für stille Mitleser, die gar nichts schreiben, aber doch einiges mitnehmen.


    Und mal ehrlich – solche Diskussionen brauchen mehr Zeit und Tiefgang, als es die schnellen Scroll-Momente in den sozialen Medien hergeben. Dort rauscht ein Beitrag oft innerhalb weniger Stunden vorbei. Unsere Blogbeiträge und Forendiskussionen bleiben dagegen dauerhaft abrufbar, sind leichter wiederzufinden und laden dazu ein, auch später noch mitzulesen oder mitzudiskutieren.

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  • Es wird immer schlimmer. Das Rentner-Bashing geht weiter. Ich beobachte das schon eine zeitlang.
    Jetzt geht es um den Vorschlag eines sozialen Jahres für Babyboomer.

    Im „Tagesspiegel“ hatte Fratzscher zu seinen Vorschlägen erklärt: „Die Boomer haben zu wenig Kinder bekommen. Darum müssen sie im Alter ein soziales Pflichtjahr leisten, damit die Sozialsysteme finanzierbar bleiben.“ Gleichzeitig wandte er sich dagegen, dass die junge Generation ein soziales Jahr oder Wehrdienst leisten solle.

    • Babyboomer-Sicht: Diese Generation hat lange Zeit hohe Beiträge in die Systeme gezahlt, viele Jahre Vollzeit gearbeitet und den Wohlstand von heute mit aufgebaut. Wenn dann öffentlich suggeriert wird, sie hätten „zu wenig geleistet“ oder müssten jetzt noch einmal „zurückzahlen“, empfindet das viele zu Recht als unfair.


    Die Verantwortung für die heutige demografische Lage liegt nicht nur bei den Babyboomern. Auch die nachfolgenden Generationen haben im Schnitt deutlich weniger Kinder bekommen – und die jetzige junge Generation (Mitte 20 bis 30) steht oft überhaupt erst am Anfang ihres Familienlebens.


    Lieber Herr Fratzscher, man muss doch einmal die Kirche im Dorf lassen. Wir Babyboomer haben jahrzehntelang gearbeitet, in die Sozialkassen eingezahlt und diesen Wohlstand überhaupt erst möglich gemacht. Viele von uns pflegen heute schon ihre Eltern, helfen den Kindern finanziell und kümmern sich um die Enkel. Und da soll uns jetzt im Alter noch ein Pflichtjahr aufgebrummt werden? Das ist schlicht respektlos.

    Die Wahrheit ist: Niedrige Geburtenraten gibt es seit Generationen, nicht nur bei uns. Die Ursachen liegen in Politik und Gesellschaft, nicht bei einzelnen Jahrgängen. Und wer behauptet, nur wir Älteren müssten noch einmal ran, verkennt völlig, wie sehr wir schon heute durch Familie, Pflege und Ehrenamt tragen.

    Wenn wir wirklich Lösungen wollen, dann müssen alle Generationen zusammenhalten – mit besseren Arbeitsbedingungen in Pflege- und Sozialberufen, mit Familienförderung und vernünftigen Reformen. Aber eines sage ich ganz klar: Anstatt die Älteren pauschal zu bashen, verdient unsere Lebensleistung Anerkennung, nicht Verhöhnung.

    Sie selbst haben in einem Interview erzählt, dass sie in ihrer Jugend weder Wehr- noch Ersatzdienst geleistet haben. Auf die Nachfrage, ob Sie dennoch die Babyboomer, die bereits in ihrer Jugend Wehr- oder Ersatzdienst geleistet haben, ein zweites Mal in die Pflicht nehmen möchten, bestätigten sie als DIW-Chef: "Die Boomer sollen doppelt Dienst leisten, die Gen Z erstmal nicht."


    Wer selbst keinen Pflichtdienst gemacht hat, sollte nicht ausgerechnet denen, die schon einmal gedient haben, ein zweites Mal die Pflicht aufdrücken wollen – das ist pure Doppelmoral, das ist Heuchelei!

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