Die falsche Schlange
Schwester S.
Es gibt Naturgesetze, die unumstößlich sind. Die Schwerkraft zum Beispiel. Oder dass man genau immer in der langsamsten Supermarkt-Schlange landet.
Ich weiß nicht, ob es eine geheime Kassen-Göttin gibt, die über das Schicksal der Wartenden wacht – aber wenn ja, dann hat sie etwas gegen mich.
Egal, welche Kasse ich auch nehme: Die Nachbarschlange rauscht wie ein ICE davon, während meine festklebt wie ein Regionalzug mit Weichenstörung . Wahrscheinlich genau deshalb, weil vorne eine Dame gerade in aller Ruhe ihr gesamtes Kleingeld sortiert und prüft, ob sie die 73 Cent nicht vielleicht doch noch in 1-Cent-Stücken zusammenbekommt.
Ich kann fünf Kassen gleichzeitig beobachten, akribisch die Einkaufswagen analysieren, Kinderfaktor und Kleingeldrisiko einkalkulieren – und trotzdem lande ich garantiert hinter der Dame, die erst nach dem letzten Artikel bemerkt, dass sie ihren Geldbeutel irgendwo tief unten in der Handtasche verstaut hat. Zwischen Taschentüchern und einem halben Drogeriemarkt.
Und natürlich steht hinter mir jemand, der es eilig hat – immer.
Einer von der Sorte, die ihren Einkaufswagen wie ein Rammbock einsetzen und mir damit in aller Freundschaft in die Hacken fahren – oder, je nach Tagesform, eine leichte Rückenmassage im Lendenbereich verpassen.
Der Höhepunkt aber kommt, wenn aus dem Lautsprecher die verheißungsvolle Botschaft ertönt: „Wir öffnen Kasse 3 für Sie.“ Innerhalb von Sekunden verwandelt sich der geordnete Einkaufsrückstau in ein wildes Derby. Einkaufswagen werden zu Formel-1-Boliden, Kunden sprinten, als ginge es um den letzten Sitz im Rettungsboot, und das freundliche „Sie dürfen vor“ bleibt natürlich reine Utopie.
Ich habe inzwischen Strategien entwickelt.
Beobachte das Personal. Kenne die Kassiererin mit dem Scan-Flow eines Maschinengewehrs und meide den Kollegen, der jeden Artikel dreht, als wolle er die Strichcodes meditativ erfühlen.
Doch egal, welche mathematisch-psychologische Meisterleistung ich abliefere – am Ende öffnet sich immer nebenan eine neue Kasse, und alle, die nach mir kamen, winken mir im Vorbeischieben fröhlich zu.
Ich bleibe zurück.
Mit einem Einkaufswagen voller Zweifel und einer Erkenntnis, die schwerer wiegt als die Zwölf-Flaschen-Wasserpackung darunter:
Ich verliere. Grundsätzlich.
Philosophie im Wartegang
Aber vielleicht ist das gar nicht so schlimm.
Vielleicht ist die Supermarktschlange ein Gleichnis fürs Leben.
Man kann planen, rechnen, taktieren – und trotzdem steckt man plötzlich fest, weil die Welt (oder die Dame mit der Handtasche) ihre eigenen Regeln hat.
Vielleicht ist es eine Lektion in Gelassenheit.
Oder einfach der stille Hinweis des Universums:
„Atme durch. Du brauchst keine Meditation – du hast die Kasse bei Aldi.“
Denn während ich warte, beobachte ich Menschen. Den gestressten Geschäftsmann, der heimlich Katzenfutter kauft. Die Oma, die jedem Artikel eine Geschichte gibt.
Und manchmal – wenn ich ganz ehrlich bin – ist das schöner als jeder schnelle Durchgang.
Fazit:
Am Ende gewinnt immer die andere Schlange.
Aber wer in der richtigen steht, verpasst vielleicht die besten Geschichten.
Und jetzt Hand aufs Herz: Zu welcher Gruppe gehörst du – zu denen, die ihren Einkaufswagen genüsslich in den Allerwertesten des Vordermanns bohren, oder zu den Schlangen-Wechslern, die immer glauben, am Ende doch noch die schnellere erwischt zu haben?