🧠 Denkstoff #2: Wenn Anstand verloren geht
Schwester S.
Die Klage über eine fortschreitende Verrohung der Gesellschaft ist allgegenwärtig: Mehr Gewalt auf den Straßen und in Schulen, rauere Umgangsformen im Alltag und purem Egoismus, der sich in immer weniger Rücksichtnahme äußert.
ZitatNeulich las ich wieder von einem Vorfall, der mich sprachlos machte: Rettungskräfte wurden bei einem Einsatz nicht nur beschimpft, sondern sogar körperlich angegangen. Menschen, die anderen helfen, werden zur Zielscheibe.
Genauso erschreckend: In manchen Städten fliegen an Silvester Böller gezielt in Menschenmengen – als wäre es ein Spiel. Als hätte das nichts mehr mit Spaß, sondern mit Machtdemonstration zu tun.
Ich frage mich: Wann ist das passiert? Wann ist aus „leben und leben lassen“ ein „ich zuerst, alle anderen sind mir egal“ geworden? Was sind die Ursachen?
Woran liegt das – diese zunehmende Rauheit?
Es ist sicher kein einzelner Auslöser, sondern ein Zusammenspiel vieler Entwicklungen, das uns als Gesellschaft verändert. Vieles davon geschieht schleichend – fast unbemerkt – und doch spürbar.
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Überforderung und Unsicherheit: Die Welt dreht sich immer schneller – neue Technologien, globale Umbrüche, Krisen, die kaum zur Ruhe kommen. Viele Menschen fühlen sich dabei wie Passagiere in einem Zug, der nicht mehr anhält. Zurück bleibt das Gefühl, nicht mehr gefragt zu sein, übersehen, abgehängt. Und wo früher vielleicht nur Ratlosigkeit war, wächst nun Wut – auf "die da oben", auf das System, manchmal einfach auf den, der gerade im Weg steht.
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Unzufriedenheit und soziale Spannungen: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft spürbar auseinander. Wer sich ständig sorgt, ob das Geld bis zum Monatsende reicht, wird kaum Geduld für Rücksicht und Anstand übrig haben. Wenn der Frust wächst, schrumpft oft die Mitmenschlichkeit.
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Politische und gesellschaftliche Polarisierung: Unsere Gesellschaft driftet auseinander – politisch, sozial, kulturell. Der Ton, der einst verbindend war, ist rau geworden. Viele spüren den Druck, Stellung zu beziehen – nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst, unterzugehen. Statt Brücken zu bauen, werden Gräben gezogen. Aus einem ‚Wir miteinander‘ wird mehr und mehr ein ‚Wir gegen die‘.
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Der Schutz des Bildschirms: Das Internet macht Kommunikation einfach – aber auch enthemmter. Wo man sich nicht in die Augen sehen muss, fällt es leicht, verletzend zu sein. Hasskommentare, Shitstorms und digitale Kälte sind längst keine Randerscheinung mehr – sondern Alltag. Und dieser Tonfall sickert immer mehr auch ins echte Leben.
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Wertewandel und wachsender Narzissmus: Immer mehr scheint es um individuelle Selbstverwirklichung, Profilierung und den eigenen Vorteil zu gehen. Dadurch wird Egoismus und sinkendem Respekt im Umgang miteinander Tür und Tor geöffnet. Gemeinschaft, Rücksicht, Bescheidenheit? Ist kaum noch angesagt in einer Welt, die nach außen schreit: "Setz dich durch!"
Hoffnungsträger – Engagement für andere
Trotz aller negativen Tendenzen gibt es zahlreiche Menschen, die sich solidarisch zeigen und aktiv für andere einsetzen. Ob ehrenamtlich Engagierte, politische Bildner, Helfer im Katastrophenschutz oder privat Engagierte im Alltag: Sie beweisen, dass Empathie, Engagement und Mitmenschlichkeit weiterhin fest verankert sind und der Verrohung eine wichtige Gegenerzählung bieten. Ihre Arbeit ist bedeutsam für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und zeigt: Auch in rauen Zeiten bleibt Hoffnung auf Besserung.
Vielleicht ist es genau das, was wir gerade brauchen: innehalten. Den Blick nicht nur auf das richten, was schiefläuft – sondern auch auf das, was noch trägt.
Wie nehmt ihr das wahr – im Alltag, im Netz, in eurem Umfeld? Spürt ihr eine Veränderung im Miteinander?
Gab es Situationen, in denen du selbst Kälte oder Rücksichtslosigkeit erfahren hast – oder auch das Gegenteil: Menschlichkeit, die dich berührt hat?
Ich bin gespannt auf eure Gedanken.